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Sexismus und Spaß-Bias in der Wikipedia

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*Triggerwarnung*

Wikipedia ist bekanntlich ein Männerverein. Über 90 Prozent der Autor_innen sind Männer und entsprechend sieht auch die Admin-Struktur aus, die über Seiten- und Benutzer_innen-Sperren entscheidet.

Und da diese Männer oftmals weit entfernt von jeder Beschäftigung mit Gender- oder Diskriminierungsfragen sind, sich aber gleichzeitig nicht in ihrer werten Administration reinreden lassen möchten, kommt es hin und wieder zu absurden Entscheidungen. Das wäre nicht weiter wild, wenn Wikipedia nicht die Relevanz hätte, die sie zur ersten Wissensquelle von Millionen von Menschen macht. Wikipedia hat eine geschlechterbezogene Schrägseite. Sie bildet dadurch auch die Männersicht auf die Welt ab, bestenfalls korrigiert von den wenigen Frauen, die dort mitschreiben und die ständig massiven Angriffen ausgesetzt sind, wenn sie als Feministinnen ausgemacht werden.

Daher werden auch krasse frauenfeindliche Aufrufe gebilligt. Kritik an solchen Aufrufen führt hingegen schnell zu Sperren und zu verschärften Sperren, wenn man bei dieser Kritik bleibt. Hier gibt es auch einen Spaß-Bias. Unter Spaß-Bias ist zu verstehen, dass es eine Schräglage gibt über das, was als Gag und harmlos und lustig interpretiert wird, und was gar nicht lustig, sondern als beleidigend und projektstörend gesehen wird.

Aktuell findet sich dieser Spaß-Bias bei der Interpretation eines kommentierten Bildes eines Wikipedia-Autoren – nennen wir ihn Y. – und der Reaktion, er solle doch mal eine Therapie aufsuchen.

Konkret:

Ein Wikipedia-Autor, Y.,  meldet sich nach einem halben Jahr Pause zurück. Seine Kampfbereitschaft macht er mit einem entsprechend frauenfeindlichen Bild deutlich. Es handelt sich um eine Zeichnung von Joe Shuster von 1950. Eine Frau mit Stöckelschuhen, Strapsen und Unterwäsche ist an den Füßen aufgehängt, ihre Arme sind gefesselt. Sie ist sehr sexualisiert gezeichnet. Zwei Maschinen schlagen unablässig auf sie ein. Unter dem Bild hat der Autor Y. den Kommentar gepostet: “Notwendige Maßnahme für manche Wikifanten…”

Der Autor scheint aus dem rechten Spektrum zu kommen. Er befand sich in der Wikipedia oftmals im Clinch mit linken Wikipedia-Autoren. Innerhalb von Wikipedia herrscht zwischen den verschiedenen Spektren ein feindliches Klima. Es ist kein kleiner Betrieb, wo jede_r jede_n kennt und derbe Scherze als derbe Scherze rüberkommen. Da die Accounts anonym sind, ist nicht klar, was ernst und was spaßig gemeint ist.  Wikipedia-Autor_innen finden sich auch auf den schwarzen Listen auf Neonazi-Seiten wieder.

Unabhängig davon sollte es klar sein, dass sexualisierte Gewalt-Aufforderungen gegen Mitarbeiter_innen in öffentlichen Medien wie Wikipedia ein No-Go sind. Tatsächlich wurde die Seite gegen den Protest von einigen Admins (“das war doch nur ein Gag”/ “Diskriminierung von BDSMern!”) letztlich doch zurückgesetzt. Der Autor verzichtete auf eine Wiedereinstellung des Bildes mit der Begründung, dass er gar keine Lizens-Rechte für das Bild habe. Also keinerlei Einsicht.

Einen Tag später kam es jedoch zu einer Vandalismusmeldung des Autoren. Er forderte meine Sperre, weil ich ihm Gewaltpornophantasien unterstellt hätte. Überrascht teilte ich ihm mit, dass er meine Aussage verharmlose: Viel schlimmer, ich werfe ihm vor, dass er auf seiner Seite davon gesprochen habe, anderen Wikipedia-Mitarbeiter_innen (Wikifanten) seine Gewaltpornofantasien zukommen zu lassen. Er solle dazu stehen, weil das Selbsteingeständnis erst eine Therapie ermögliche. An dieser Stelle schlug der Spaß-Bias zu. Galt sein Bild samt Kommentar als Gag, vielleicht als geschmackloser Gag, aber als Gag, forderten unmittelbar zwei Admins meine Sperre. Sofort wurde auch mein Geisteszustand in Frage gestellt. Mir mangele es an gesundem Menschenverstand, ich sei ein autoritärer Zwangscharakter, mein Zwang ginge ins Anale, es sei ein Glück, dass es keine Todesstrafe in der Wikipedia gebe. Ich hatte es gewagt, eine Psychodiagnostik bei einem Wikipedia-Autoren vorzunehmen. Das dürfe keiner tun in Wikipedia. Da versteht man keinen Spaß. Entsprechend wurde ich gesperrt.

Die Sperre ging über sechs Stunden. Nach dem Ablauf der Sperre wurde ich erneut gesperrt. Jetzt für drei Tage. Mein Vergehen? Diese beiden Sätze:

  • “Ich bleibe dabei, dass Menschen, die zu sexualisierte Gewalt gegen andere aufrufen, sich Gedanken über eine Therapie machen sollen.”
  • “Und ich bleibe dabei: Y. hat zu sexualisierter Gewalt gegen Wikipedia-Mitarbeiter_innen aufgerufen.”

Der Wikipedia-Autor hätte sich jederzeit erklären könne, er hätte sich entschuldigen können. Nichts.

Die Begründung für die Sperre gegen meine Person, bei der sich die Admins geradezu überschlugen (“Ich übernehme das.”, “Zu spät, ich hab schon”) war: “Drei Tage für diese unfassbare Projektstörung und fortgesetzt Beleidigung, die auch mit einer Provokation nicht mehr zu rechtfertigen ist”

Wir dürfen gespannt sein, wie es weitergeht. Ich werde jedenfalls von meinen beiden Äußerungen nicht abrücken. Von der ersten schon mal gar nicht, von der zweiten vielleicht, wenn sich Y. für sein sexistisches Verhalten entschuldigt, wovon ich aber erst einmal nicht ausgehe. Klar ist jedenfalls, es geht natürlich nicht um Psychodiagnostik. Die entsprechenden Vorwürfe gegen meine Person wurden nicht sanktioniert, obwohl sie sehr viel krasser waren. Wer die Entwicklung live verfolgen möchte, findet hier den Link: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Sperrpr%C3%BCfung#Benutzer:Schwarze_Feder_.282.29

Eine Sperrprüfung wurde hier von einigen wenigen Admins in einer Nacht- und Nebelaktion unterdrückt.



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